Aus der Zeit gefallen?
Walter Kempowski – und „Unser Herr Böckelmann“

Beginn: Fr., 17.11.2017, 20:00 Uhr

Einlass 30 Minuten vorher

Moderation: Roland Wehl

Ein Kempowski-Abend mit mehr als nur einem Herrn Böckelmann.

Walter Kempowski (* 29. April 1929 in Rostock; † 5. Oktober 2007 in Rotenburg an der Wümme) war ein deutscher Schriftsteller. Er wurde vor allem durch seine stark autobiografisch geprägten Romane der Deutschen Chronik bekannt sowie durch sein Projekt Das Echolot, in dem er Tagebücher, Briefe und andere Alltagszeugnisse zu Zeitgemälden collagierte. Das Buch „Unser Herr Böckelmann“, das im Mittelpunkt unserer Veranstaltung steht, erschien 1979. Christa Rotzoll schrieb in der ZEIT vom

» … Das musste ja kommen: ein bibliophil aufgemachtes Buch über den Dorfschulmeister, eine illustrierte Idylle aus der pädagogischen Provinz; hingetupfte Prosaskizzen vom Leben auf dem Lande, verhaltene Momentaufnahmen aus einem Klassenzimmer. Der Landschullehrer Kempowski erzählt vom Landschullehrer Böckelmann. Die schrullige Mischung – einerseits „so eine Art Vampir“, andererseits „Kinder-Vater“ – lässt sich mit der Kreide anmalen und kann mit beiden Ohren verschieden wackeln. Herr Böckelmann wird aber auch gelegentlich sehr böse, dann müssen sich die Kinder auf das Fensterbrett legen, oder sie kriegen Kloppe.

Sein Weltbild, kurz vor der Pensionierung, passt nur in kleine Rahmen. Vom Fernsehen will er nichts wissen. Die Texte im Lesebuch gefallen ihm auch nicht, deshalb schreibt Böckelmann seinen Schülern manchmal selbstverfasste Kurzgeschichten an die Tafel, etwa diese: „Die Seele – was ist die Seele? Ist das die Luft, die aus dem Mund herauskommt? Ist es die Seele, die im Traum zu uns spricht? Ist die Seele ein kleiner Mensch in unserem Kopf? Oder sitzt sie in der Brust, da wo das Herz schlägt? Die Menschen sagen, dass die Seele aus unserem Körper herausschlüpft, wenn wir sterben. Aber keiner hat sie je gesehen.“Mit diesem Tafeltext endet die Erzählung. Auf der vorhergehenden Seite hat man noch erfahren, daß der erkrankte Herr Böckelmann inzwischen tot sei. Melancholie im „Geschenkformat“ – von Roswitha Quadfliegs Zeichenstift behutsam unterstrichen – wird dem Leser geboten (für .96 Mark sogar numeriert und signiert im Schuber). Von dem, was hierzulande momentan so viel nötiger ist (nicht nur für Landschullehrer), vom Mut, mochte Walter Kempowski diesmal leider nicht schreiben.«

Wir freuen uns, dass wir Dr. Frank Böckelmann für die Lesung gewinnen konnten.

Frank Böckelmann studierte Philosophie und Kommunikationswissenschaft, assistierte dem Husserl-Schüler Arnold Metzger und beteiligte sich ab 1963 an der Subversiven Aktion, zusammen mit Dieter Kunzelmann, Herbert Nagel, Rodolphe Gasché, Rudi Dutschke und Bernd Rabehl. 1966 initiierte Böckelmann die „Studiengruppe für Sozialtheorie“ und war Wortführer der „antiautoritären Fraktion“ im Münchner SDS. Wegen Landfriedensbruchs, schweren Aufruhrs und Gefangenenbefreiung wurde er zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Im Sommer 1968 zog er sich aus dem SDS und wenige Jahre später aus der Neuen Linken zurück. Er verfasste neben seiner Dissertation (Die Problematik existentieller Freiheit bei Karl Jaspers, 1972) bei Hermann Krings weitere Schriften über den Freiheitsbegriff in der Gegenwartsphilosophie. Ende der 1960er Jahre begann Böckelmann, über Alltagsphänomene, Geschlechterrollen und Probleme der Massenkommunikation zu schreiben. Von 1969 bis 1972 verfasste er Reportagen und Zeitdiagnosen für Twen und Stern. Ab 1976 war Frank Böckelmann in der freien Medienforschung tätig. Drei Jahrzehnte lang wirkte er als Projektleiter in der Arbeitsgruppe Kommunikationsforschung München und untersuchte für öffentliche Auftraggeber u.a. das italienische Privatfernsehen, familiäre Fernsehroutinen, die Verflechtungen zwischen Zeitungsverlagen und Privatsendern sowie die wirtschaftliche Entwicklung im privaten Rundfunk. Davon profitierte schließlich das 2004 gemeinsam mit Hersch Fischler verfasste Buch Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums.

Frank Böckelmann ist Herausgeber der Zeitschrift „Tumult – Vierteljahresschrift für Konsensstörung“. Er lebt seit 2010 in seiner Geburtsstadt Dresden.

Zum Schluss der Veranstaltung erwartet Sie ein reichhaltiges Buffet. Die Speisen und Getränke sind im Eintrittspreis enthalten.

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